Baum mit starken Wurzeln

Bist Du gut verwurzelt?

Wer hoch hin­aus will, muß gut ver­wur­zelt sein, heißt ein Sprich­wort. Da ist was Wah­res dran. Doch lei­der sind Mil­lio­nen und Aber­mil­lio­nen von Men­schen bereits vor vie­len Gene­ra­tio­nen aus ihrer Hei­mat ver­trie­ben und ihrer Wur­zeln beraubt wor­den. Sich neu zu ver­wur­zeln ist oft nicht leicht und dau­ert manch­mal das gan­ze Leben — manch­mal gelingt es nie. Auch die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen lei­den oft bis heu­te unter der Ver­trei­bung und den Flucht­er­fah­run­gen unse­rer Ahnen. Für vie­le Men­schen ist es immens wich­tig, zu wis­sen, wo sie her­kom­men und wohin sie gehö­ren. Ich möch­te Dich dazu anre­gen, Dich auf die Suche nach Dei­nen eige­nen Wur­zeln zu machen.

Unser Bedürf­nis nach Sicher­heit und Geborgenheit

Sicher­heit und Gebor­gen­heit gehö­ren zu den Grund­be­dürf­nis­sen der Men­schen, genau­so wie Essen, Trin­ken und Schla­fen. Den siche­ren Schutz im Bauch der Mut­ter müs­sen wir bei unse­rer Geburt ver­las­sen, was nicht sel­ten mit einem Schock­erleb­nis ein­her­geht. Aus der Gebor­gen­heit des Mut­ter­lei­bes sol­len wir uns nun an die kör­per­li­chen Ver­än­de­run­gen anpas­sen. Das geht ganz gut, wenn das Baby z. B. der Mut­ter direkt nach der Geburt auf den Bauch gelegt wird, ihre Wär­me spürt, ihre Herz­tö­ne hört und sich so vom Geburts­stress erho­len kann. Das Ent­bin­dungs­zim­mer soll beson­ders warm und mit gedämpf­tem Licht aus­ge­stat­tet sein, damit das Baby sich leich­ter an den Über­gang gewöh­nen kann usw. In mei­nem Arti­kel Neu­ge­bo­ren — Wege aus dem Geburts­trau­ma habe ich bereits dar­über geschrieben. 

Wann füh­len wir uns sicher und geborgen?

Es gibt Men­schen, die füh­len sich über­all sicher, weil sie ein­fach vor nichts Angst haben und total im Urver­trau­en sind. Und dann gibt es Men­schen, die gehen nicht gern aus dem Haus und füh­len sich nur in ihren eige­nen vier Wän­den wohl. Das hat zum einen etwas mit Art zu tun, wie wir gebo­ren wer­den, ob unse­re Geburt trau­ma­tisch war oder sanft. Zum ande­ren machen wir im Lau­fe unse­res Lebens vie­le Erfah­run­gen. Und wenn die haupt­säch­lich geprägt sind von Krieg, Gewalt und Angst, kann dies dazu füh­ren, daß wir gar nicht erst ler­nen, was Sicher­heit und Gebor­gen­heit über­haupt bedeu­ten. Wir sind stän­dig im Über­le­bens­mo­dus und bereit, jeder­zeit die Flucht zu ergreifen. 

Wenn Eltern und Groß­el­tern wäh­rend und nach dem Krieg selbst flüch­ten muß­ten, kann sich die­ses Ver­hal­ten auf die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen über­tra­gen. Dabei spielt es kei­ne Rol­le, ob wir dies als Kin­der mit­er­lebt haben oder nicht. Wenn Du alle paar Jah­re in eine neue Woh­nung oder eine neue Stadt umziehst, lebst Du mög­li­cher­wei­se unbe­wußt das Mus­ter der Flucht Dei­ner Eltern und Großeltern. 

Wenn Du stän­dig auf der Flucht bist (inner­lich und im Außen), bist Du im Dau­er­streß. Du kommst nir­gend­wo rich­tig an. Du kannst kei­ne Wur­zeln schla­gen, mög­li­cher­wei­se weil Dei­ne Ahnen einst selbst ent­wur­zelt wur­den und Du damit auch.

Wenn Du Dir dies bewußt machst, kannst Du das Mus­ter unter­bre­chen. Fra­ge hier­zu Dei­ne Ahnen, sofern sie noch leben und erfor­sche Dei­ne Fami­li­en­ge­schich­te, dann wirst Du es her­aus­fin­den. Somit hast Du end­lich die Mög­lich­keit, die­ses unge­müt­li­che Ver­hal­ten abzu­stel­len, das Dir das Leben so schwer gemacht hat. 

War­um ist es wich­tig, gut ver­wur­zelt zu sein?

Hei­mat­ver­trie­be­ne wur­den mit Gewalt aus ihrer gewohn­ten Umge­bung her­aus­ge­ris­sen und nicht sel­ten auch noch von ande­ren Fami­li­en­mit­glie­dern getrennt. Die Men­schen wur­den ihrer Wur­zeln beraubt, ihrer Ver­bin­dung zu ihren Lie­ben und zu ihrem Vater­land. Vie­le haben durch die­se trau­ma­ti­schen Erleb­nis­se auch die Ver­bin­dung zu ihrem eige­nen Selbst und zu Gott ver­lo­ren. Nach­fol­gen­de Gene­ra­tio­nen lei­den heu­te noch darunter. 

Selbst, wenn die Ver­trie­be­nen an einem neu­en Ort Fuß gefaßt haben, bedeu­tet das nicht zwangs­läu­fig, daß sie sich dort gut ver­wur­zelt haben sprich, daß sie hei­misch gewor­den sind. Es heißt nicht umsonst “einen alten Baum ver­pflanzt man nicht”. Über­all dort, wo Gebie­te geteilt wur­den, neue Län­der geschaf­fen und Gren­zen ver­än­dert wur­den, wur­den Men­schen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit, ihrer Hei­mat und nicht zuletzt auch ihrer Iden­ti­tät und Zuge­hö­rig­keit beraubt. Und wenn Du mit offe­nen Augen und wachem Ver­stand durchs Leben gehst, stellst Du schnell fest, daß sich dar­an bis heu­te nichts geän­dert hat. 

Hei­mat ist ein Paradies

…heißt der Titel eines Buches von Vik­tor Streck. Hei­mat ist ein Para­dies heißt auch der Titel eines Vor­tra­ges und gleich­na­mi­gen Bro­schü­re von Andre­as Clauss.  Bei­de haben zum The­ma, wie Men­schen ihre Hei­mat und ihre Staats­an­ge­hö­rig­keit ver­lo­ren haben bzw. wie sie durch die EU zu Staa­ten­lo­sen gemacht wer­den. Ich will hier nicht wei­ter dar­auf ein­ge­hen, das wür­de den Rah­men die­ses Arti­kels spren­gen. Du kannst Dich dazu selbst bele­sen und Dir Dei­ne eige­nen Gedan­ken machen. 

Aber der Titel trifft die Sache auf den Punkt. Nichts ist uns so lieb wie unse­re Hei­mat. Kein ande­rer Ort auf die­ser Welt ist mit unse­rer Hei­mat ver­gleich­bar. Obgleich es Orte gibt, wo es sich (noch) gut leben läßt. Und es gibt ja auch vie­le Aus­wan­de­rer, die ihre Hei­mat ver­las­sen, um ein kom­plett ande­res Leben zu füh­ren. Eini­ge fin­den tat­säch­lich eine neue Hei­mat in der Fer­ne und kön­nen das Alte gut hin­ter sich las­sen, ande­re keh­ren wie­der zurück.

Ein Bekann­ter sag­te vor vie­len Jah­ren ein­mal zu mir: 

“Wer in sich selbst nicht zuhau­se ist,
ist nir­gend­wo zuhause.”
(Herbert Haas)

Das ist eine betrüb­li­che, aber wah­re Tat­sa­che. Wer in sich selbst nicht zuhau­se ist, wur­de mög­li­cher­wei­se sei­ner Wur­zeln beraubt und kann nir­gend­wo rich­tig zuhau­se sein. Der ist stän­dig auf der Suche nach sei­ner Iden­ti­tät und sei­ner Zuge­hö­rig­keit. Und das, obwohl er viel­leicht schon jah­re­lang in ein und der­sel­ben Stadt wohnt, dort gebo­ren und auf­ge­wach­sen ist. Irgend­wann bricht das Flucht­mus­ter durch und er wird sich — bewußt oder unbe­wußt — auf die Suche machen: auf die Suche nach sei­nen Wur­zeln. Auf die Suche nach sei­ner Ver­gan­gen­heit. Auf die Suche nach sei­ner Iden­ti­tät. Auf die Suche nach sei­ner Zuge­hö­rig­keit. Auf die Suche nach… sich selbst. Die­ses Suchen ist oft mit gro­ßem Leid ver­bun­den, weil vie­le Men­schen gar nicht wis­sen, was sie eigent­lich fin­den wol­len. Vie­le haben viel­leicht auch Angst davor, etwas zu fin­den, daß für sie uner­träg­lich wäre. Hier kann the­ra­peu­ti­sche Unter­stüt­zung von gro­ßem Nut­zen sein. 

Zurück zu den Wurzeln

Eine sys­te­mi­sche Auf­stel­lung, ein Geno­gramm, mit dem die Fami­li­en­ge­schich­te betrach­tet und ana­ly­siert wer­den kann, kön­nen hier sehr hilf­reich sein. Eben­so wich­tig ist für Men­schen mit Flucht­er­fah­run­gen eine gewis­se Ord­nung und Struk­tur in ihrem Tages­ab­lauf. Sie brau­chen das, um sich zu ori­en­tie­ren und zu inne­rer Ruhe zu kom­men. Aber auch eine Rück­füh­rung in die Kind­heit, in die Zeit im Mut­ter­leib oder in noch wei­ter zurück­lie­gen­de Zei­ten kann Auf­schluß über die Umstän­de geben, die zum heu­ti­gen Flucht­ver­hal­ten geführt haben. So kön­nen zum einen Bewußt­seins­be­gren­zun­gen auf­ge­ho­ben und zum ande­ren tief­sit­zen­de Ängs­te, Blo­cka­den und Ver­hal­tens­mus­ter erlöst werden. 

Ein Mensch, der gut ver­wur­zelt ist, der weiß wo er her­kommt und wohin und zu wem er gehört, der steht ganz anders da. Der hat eine auf­rech­te Kör­per­hal­tung. Der hat eine star­ke Per­sön­lich­keit. Der ist so schnell nicht zu erschüt­tern. Ein Baum mit star­ken Wur­zeln wird nicht gleich von jedem klei­nen Wind­hauch umge­pus­tet, der hält auch einem Sturm stand. Ein gut ver­wur­zel­ter Mensch kann Höhen­flü­ge machen, ohne kom­plett abzu­he­ben und kann immer wie­der auf den Boden zurück­kom­men. Ein Mensch, der gut ver­wur­zelt ist, ist mit sei­ner Hei­mat und sei­nen Ahnen tief ver­bun­den. Der fühlt das auch und hat viel mehr Lebens­en­er­gie zur Ver­fü­gung als ein Mensch, der sei­ne Wur­zeln nicht ein­mal kennt. 

In der nächs­ten Woche erfährst Du, wie Du es Dir 

a) in Dei­ner Woh­nung und
b) in Dir selbst gemüt­lich machen kannst

Ein Gedanke zu „Bist Du gut verwurzelt?

  1. Als ich klein war, woll­te ich wer­den wie mein Groß­va­ter, dann wur­de ich lang­sam wie er und bekam Panik, über­all eck­te ich in der Gesell­schaft an, ich woll­te sein wie alle ande­ren auch. Was dazu führ­te, dass der Weg immer deut­li­cher sicht­bar wurde.

    Heu­te Jahr­zehn­te spä­ter bin ich glück­lich mit der Erkennt­nis immer mehr wie mein Groß­va­ter zu sein, sei­nen Norm­a­den in mir zu spü­ren und ihn auch zu leben. Wenn ich in die Natur gehen muss, dann gehe ich, denn nur so kann ich immer wie­der den Weg in mir fühlen.
    Wie ein Wolf brau­che ich die Gesell­schaft, aber wenn sie zu stark wird, kann ich auch wie­der gehen.
    Mei­ne inne­re Mit­te gibt mir den Zeit­punkt, wie lan­ge ich was brauche.
    Die Natur gibt mir die Kraft, dass mei­ne Wur­zeln wach­sen kön­nen, die Gesell­schaft die Kraft für die Blätter.

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