Sinn und Würde

Die Glau­bens-Fra­ge

“Wo kom­me ich her, wo gehe ich hin, was ist der Sinn des Lebens?”, ist wohl die Fra­ge, die sich jeder frü­her oder spä­ter ein­mal stellt.

Vie­le fin­den Halt im Glau­ben. Die Spi­ri­tua­li­tät eines Men­schen lässt Rück­schlüs­se auf sei­ne Ein­stel­lung zum Leben und damit auch zu sei­ner per­sön­li­chen Resi­li­enz (Wider­stands­fä­hig­keit) zu. Glau­be ver­setzt Ber­ge, Glau­be macht stark.

Die­ser Glau­be an einen Gott oder eine höhe­re Macht, die alles lenkt und unse­re Geschi­cke bestimmt, ist nach trau­ma­ti­schen Erfah­run­gen zunächst schwer erschüt­tert. Man­che Men­schen ver­lie­ren ihren Glau­ben an Gott, ans Leben, an die Mensch­heit und ver­zwei­feln. Vie­len Men­schen hilft ihr Glau­be jedoch, mit dem Schreck­li­chen fer­tig zu wer­den. Sie trös­ten sich in dem Gedan­ken, dass…

“dahin­ter wohl ein grö­ße­rer Sinn liegt, den ich jetzt noch nicht ver­ste­hen kann, …aber spä­ter viel­leicht, eines Tages…, viel­leicht auch erst dann, wenn ich selbst gestor­ben und bei mei­nen Ange­hö­ri­gen auf der ande­ren Sei­te bin…”

In zahl­rei­chen Gesprä­chen mit trau­ma­ti­sier­ten Men­schen konn­te ich fest­stel­len, dass vie­le ger­ne (wie­der) an etwas glau­ben möch­ten. Sie suchen ver­zwei­felt nach Sicher­heit, nach Schutz und Halt, nach Respekt, Aner­ken­nung, Ver­ständ­nis und Mit­ge­fühl. Sie füh­len sich aus­ge­schlos­sen, dis­kri­mi­niert, stig­ma­ti­siert und wertlos.

Spi­ri­tu­el­le Aspek­te in der Traumaarbeit

Vie­le haben nach trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen außer­ge­wöhn­li­che Wahr­neh­mungs­fä­hig­kei­ten ent­wi­ckelt und Erfah­run­gen gemacht, die oft als über­na­tür­lich bezeich­net wer­den. Und vie­le hören mir sehr inter­es­siert zu, wenn ich von Din­gen, wie Hoch­sen­si­ti­vi­tät, Reinkar­na­ti­on, Rück­füh­rung in ande­re Leben oder von Uni­ver­sel­len Gesetz­mä­ßig­kei­ten spreche.

Da ich weiß, dass kei­ne See­le je ver­lo­ren geht und nichts ohne Grund geschieht, weil alles, was wir erle­ben, einer kos­mi­schen Ord­nung folgt, hat­te ich die Intui­ti­on, mei­ne spi­ri­tu­el­len Erfah­run­gen in mei­ne Arbeit mit trau­ma­ti­sier­ten Men­schen ein­flie­ßen zu las­sen. Sehr behut­sam und stets vol­ler Respekt für die Welt­an­schau­ung jedes Einzelnen.

Die letz­te Frei­heit des Menschen

Der Wie­ner Arzt und Psych­ia­ter Vik­tor Frankl kam als Jude ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger The­re­si­en­stadt. Dort erleb­te er Din­ge, die fern­ab jeg­li­cher Men­schen­wür­de lagen. Sei­ne ers­te Frau und sei­ne Eltern wur­den im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger ermor­det. Er selbst wur­de gefol­tert und entwürdigt.

Eines Tages wur­de er sich des­sen bewusst, was er “die letz­te Frei­heit des Men­schen” nann­te. Die Nazis konn­ten ihn und sei­ne Umge­bung kon­trol­lie­ren, sie konn­ten mit sei­nem Kör­per machen was sie woll­ten. Er blieb den­noch ein selbst­be­wuss­tes Wesen, das beob­ach­ten konn­te, was mit ihm geschieht. Sei­ne grund­le­gen­de Iden­ti­tät war intakt. Er konn­te selbst ent­schei­den, wel­che Aus­wir­kun­gen all die­se Erleb­nis­se auf ihn haben würden.

Frankl grün­de­te ein Refe­rat für Psy­cho­hy­gie­ne, das den Neu­an­kömm­lin­gen über den Schock der ers­ten Ein­drü­cke hin­weg­hel­fen soll­te. Er wur­de zu einer Inspi­ra­ti­on für die Men­schen in sei­ner Umge­bung, auch für eini­ge der Wäch­ter. Er unter­stütz­te ande­re dabei, einen Sinn in ihrem Lei­den und Wür­de in ihrem Gefan­gen­sein zu finden.

Unverletzbar

Vik­tor Frankl beschreibt sei­ne Erleb­nis­se in dem Buch “Trotz­dem Ja zum Leben sagen!” Er ent­wi­ckel­te die Logo­the­ra­pie (logos = griech. der Sinn) und Existenzanalyse.

Du magst dich viel­leicht fra­gen, wie­so gera­de ein Holo­caust-Über­le­ben­der die Sinn-Fra­ge zum Haupt­te­nor in der The­ra­pie macht?

Nun, ich bin der Mei­nung, dass die Aus­ein­an­der­set­zung mit Kri­sen­si­tua­tio­nen oder trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen Betrof­fe­ne frü­her oder spä­ter auto­ma­tisch zu der Fra­ge nach dem Sinn ihres Lei­dens und nach dem Sinn des Lebens ins­ge­samt führt.

Hei­lung durch Vergebung?

Ich sehe mei­ne the­ra­peu­ti­sche Auf­ga­be dar­in, Betrof­fe­ne auf der Suche nach einer für sie befrie­di­gen­den Ant­wort zu unter­stüt­zen. Dabei sind abge­dro­sche­ne Phra­sen, wie z. B. “die Zeit heilt alle Wun­den”, “Ver­ge­bung ist der Schlüs­sel zu inne­rem Frie­den” etc. wenig hilf­reich. Dort, wo Ver­ge­bung nicht gefühlt wer­den kann, bewirkt sie auch kei­nen inne­ren Frie­den oder Hei­lung. Nur das, was fühl­bar wird, was als Erkennt­nis in dir auf­steigt, was du als inne­re Weis­heit oder als Erleuch­tung emp­fin­dest, wird dir hel­fen, dei­nen Weg der Hei­lung zu finden.

Kein Zwang in der Therapie

Es gibt The­ra­peu­ten, die ver­lan­gen von ihren Kli­en­ten beim Abschluss einer Fami­li­en­auf­stel­lung ein Ver­ge­bungs­ri­tu­al, unab­hän­gig davon, was die Kli­en­ten erlebt haben, z. B. Miss­hand­lung oder Miss­brauch durch die eige­nen Eltern etc. Men­schen zu zwin­gen, dem Täter zu ver­ge­ben, wenn sie es nicht frei­wil­lig tun wol­len, hal­te ich für kri­mi­nell. Die­ser Zwang kann zu schwe­ren Re-Trau­ma­ti­sie­run­gen füh­ren und ist abso­lut zu unterlassen!

Gelangst du jedoch von selbst zu der Ansicht, ver­ge­ben zu wol­len, aus einer inne­ren Erkennt­nis her­aus, so ist dies ein Quan­ten­sprung in dei­nem spi­ri­tu­el­len Bewusstsein.

Dei­ne Wahr­heit ist maß­ge­bend — sonst nichts!

Lass dir also nichts auf­dik­tie­ren, weder von Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen, Freun­den, Kol­le­gen oder The­ra­peu­ten. Der The­ra­peut ist ledig­lich dazu da, dich bei dei­nen Fra­gen zu beglei­ten und den Pro­zess dei­ner Hei­lung zu unter­stüt­zen, indem er gemein­sam mit dir nach Ant­wor­ten sucht, die dei­ner Wahr­heit ent­spre­chen und die für dich stim­mig sind.


Lite­ra­tur:

Frankl. V. (1984): Sinn-voll hei­len. – Herder.

Frankl, V. (1985): Der Mensch vor der Fra­ge nach dem Sinn. — Piper

Frankl, V. (2012) …trotz­dem Ja zum Leben sagen. Ein Psy­cho­lo­ge erlebt das
Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. – 3. Aufl., Kösel.

Frick-Baer, G. (2009): Auf­rich­ten in Wür­de. Metho­den und Model­le lei­b­ori­en­tier­ter krea­ti­ver Trau­ma­the­ra­pie. – Affen­kö­nig Verlag.

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