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Fehl­dia­gno­se Betreuung

Auf­grund einer Fehl­dia­gno­se wur­de Frau M. eine Betreu­ung auf­ge­zwun­gen, die ihr das Leben zur Höl­le machen soll­te… Unfä­hig­keit oder Vorsatz?

Eine Demenz, die kei­ne ist

Es macht mich echt wütend, wenn Men­schen von soge­nann­ten Fach­leu­ten eine Demenz dia­gnos­ti­ziert wird, die gar kei­ne ist. Frau M., die ich vor ca. 2 Mona­ten ken­nen­lern­te, muß­te sich vor eini­gen Jah­ren einer Ope­ra­ti­on unter­zie­hen. Unmit­tel­bar nach der Ope­ra­ti­on — Frau M. war noch im Kran­ken­haus — wur­de bei ihr eine Demenz dia­gnos­ti­ziert. Der Arzt mein­te, daß die Sym­pto­ma­tik dar­auf schlie­ßen lie­ße. Und das, obwohl Frau M. gera­de erst eine schwe­re OP hin­ter sich hat­te und noch nicht ein­mal zuhau­se war.

Frau M. ist Anfang sieb­zig und kei­nes­wegs dement. Sie ist sehr klar und ori­en­tiert, kann chro­no­lo­gisch und in der rich­ti­gen Rei­hen­fol­ge erzäh­len und hat auch kei­ne Erin­ne­rungs­lü­cken. Ihr Kurz­zeit­ge­dächt­nis funk­tio­niert her­vor­ra­gend und das Lang­zeit­ge­dächt­nis eben­so. Ich stau­ne immer wie­der, wie struk­tu­riert Frau M. ist und wie gefaßt sie wirkt, beson­ders dann, wenn sie mir davon berich­tet, was sich in den letz­ten zwei Jah­ren bei ihr abge­spielt hat. Ich an ihrer Stel­le wäre längst ausgeflippt.

Doch Frau M. ist ver­zwei­felt. Noch wäh­rend ihres Kran­ken­haus­auf­ent­hal­tes wur­de ihr ein Betreu­er zuge­wie­sen, der ihr ihr Geld weg­nahm, ihre Woh­nung auf­lös­te und sie in ein 1‑Zim­mer-Appar­te­ment steck­te. Der Haus­halt wur­de fast kom­plett auf­ge­löst. Ihr blie­ben nur noch ein paar Möbel und etwas Geschirr, ein paar Bücher und Deko­ar­ti­kel, mit denen sie ihr Appart­ment ein­rich­ten konn­te. Ein Appart­ment, daß viel zu klein ist, in dem Frau M. fast erstickt. Der Betreu­er gab ihr im Monat gera­de ein­mal so viel Geld, wie der aktu­el­le Hartz IV-Satz beträgt. Manch­mal war es sogar noch weni­ger. Frau M. konn­te sich plötz­lich nichts mehr leis­ten und muß­te um jeden Cent bet­teln. Und das, obwohl sie eine statt­li­che Pen­si­on hat. Frau M. war frü­her Beam­tin und hat gut verdient.

Nach­ti­gall, ick hör dir trappsen

Als ich ihre Geschich­te zunächst von einem gemein­sa­men Bekann­ten hör­te, gin­gen bei mir alle Alarm­glo­cken an. Ich woll­te Frau M. unbe­dingt selbst spre­chen. Mitt­ler­wei­le haben wir uns ein paar­mal getrof­fen und uns viel mit­ein­an­der unter­hal­ten. Ich konn­te Frau M. des öfte­ren beob­ach­ten, wie sie sprach, wie sie sich beweg­te, wie sie ihren Haus­halt führ­te usw.

Und sofort war für mich klar: Die­se Frau ist kei­nes­wegs dement! Doch war­um stell­te der Arzt im Kran­ken­haus die­se Fehl­dia­gno­se? Und war­um wur­de ihr noch wäh­rend des Kran­ken­haus­auf­ent­hal­tes ein Betreu­er zuge­wie­sen, ein wild­frem­der Mann, den sie gar nicht kann­te und der von einer Betreu­ungs­agen­tur kam? Der Arzt müß­te Frau M. dann mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit eine schwe­re Form der Demenz dia­gnos­ti­ziert haben, die den Ein­satz eines Betreu­ers “not­wen­dig” mach­te. War­um räum­te der Betreu­er noch wäh­rend ihres Kran­ken­haus­auf­ent­hal­tes Frau M.’s Woh­nung aus und lös­te ihren Haus­halt auf?

Frau M. war bis zu die­sem Zeit­punkt ein selbst­be­wuß­ter Mensch mit einer fes­ten Per­sön­lich­keit. Sie frag­te nach, wenn sie etwas nicht ver­stand und sag­te unmiß­ver­ständ­lich, was sie davon hielt, wenn ihr etwas nicht gefiel. Kurz und gut: Frau M. hat­te ihre eige­ne Mei­nung und die ver­trat sie auch, freund­lich, aber bestimmt. 

Dar­an ist nichts Ver­werf­li­ches. Im Gegen­teil, die­se Ein­stel­lung ist sehr gesund. Ich habe Frau M. als einen sehr ver­nünf­tig den­ken­den Men­schen ken­nen­ge­lernt, die sagt, was sie bewegt und durch­aus in der Lage ist, Recht von Unrecht zu unter­schei­den. Und wenn sie das Gefühl hat­te, daß hier eine Fehl­dia­gno­se vor­lag, war es ihr gutes Recht, das anzu­spre­chen und sich eine zwei­te und sogar drit­te Mei­nung ein­zu­ho­len. Doch das wur­de ihr verwehrt.

Was hat der Betreu­er mit Frau M.’s Geld gemacht?

Bis heu­te hat Frau M. von ihrem Betreu­er kei­nen Nach­weis dar­über erhal­ten, was mit ihrem Haus­stand pas­sier­te und was er mit ihrem Geld gemacht hat. Sie hat­te ihn mehr­fach um Aus­kunft und Rechen­schaft ersucht. Schließ­lich han­delt es sich um ihr Eigen­tum und sie hat ein Recht dar­auf, zu erfah­ren, was damit gesche­hen ist. Denn selbst, wenn ein Betreu­er bestellt ist, so darf er mit dem Eigen­tum der zu betreu­en­den Per­son nicht machen, was er will, er muß es ver­wal­ten und im Fal­le des Able­bens den Nach­laß regeln..

Es liegt der Ver­dacht nahe, daß Frau M. in ein Kom­plott hin­ein­ge­ra­ten ist. Denn anders läßt sich die­ses Ver­hal­ten des Kran­ken­hau­ses bzw. des behan­deln­den Arz­tes und des Betreu­ers nicht erklä­ren. Eine allein­ste­hen­de Frau mit einer guten Pen­si­on — leich­te Beute?

Das liest sich wie ein Kri­mi, nicht wahr. Und es ist auch einer. Mei­ne Nase sagt mir, daß die gan­ze Sache gewal­tig zum Him­mel stinkt. 

War­um Fehl­dia­gno­sen und das gän­gi­ge Betreu­ungs­recht Dich Dein letz­tes Hemd kos­ten können

In Deutsch­land kann jeder unter das soge­nann­te Betreu­ung gestellt wer­den. Das kann’s ja wohl nicht sein. Man könn­te glatt auf die Idee kom­men, da steck­te Metho­de dahin­ter. Der Jurist Alex­an­der Pae­tow rät daher jedem, kein Kran­ken­haus ohne Anwalt zu betre­ten und nicht mit Psych­ia­tern zu spre­chen. Die Gut­gläu­big­keit der Pati­en­ten wer­de nur aus­ge­nutzt. Alles kön­ne gegen den Pati­en­ten ver­wen­det werden.

Das seit 1992 gel­ten­de Betreu­ungs­recht soll­te Men­schen die soge­nann­te Ent­mün­di­gung erspa­ren bzw. ihre Rech­te stär­ken, so hieß es offi­zi­ell. In Wahr­heit ver­ein­facht das Betreu­ungs­recht eine Ent­mün­di­gung sogar noch. Und der Will­kür sind damit Tür und Tor geöffnet.

Der Ber­li­ner Rechts­an­walt Wolf­gang Kaleck kam in sei­nem 2008 ver­öf­fent­lich­ten Gut­ach­ten zu dem Schluß, daß das gän­gi­ge Betreu­ungs­recht in Deutsch­land gegen die UN-Kon­ven­ti­on über die Rech­te nicht nur behin­der­ter Men­schen ver­stößt.

Die Will­kür der deut­schen Betreu­ungs­ma­schi­ne­rie (ein Aus­zug aus dem Arti­kel von Susan­ne Här­pfer):

Der Münch­ner Anwalt, Prof. Vol­ker Thie­ler kämpft seit Jah­ren gegen Betreu­un­gen. “Der Mensch ver­liert im Betreu­ungs­recht sei­ne Men­schen­wür­de”, kri­ti­siert er. “Im Betreu­ungs­recht ist der Schutz der Fami­lie außer Kraft gesetzt. Der Rich­ter kann machen, was er will”, warnt Thieler.

Der Rich­ter kann behaup­ten, die Ange­hö­ri­gen sei­en zu weit weg, es gin­ge ihnen nur um´s Geld, sie sei­en zu alt, oder er schiebt ihnen Alko­ho­lis­mus unter. Noch nicht ein­mal der Ehe­part­ner erfährt etwas, er hat kein Recht, die Akten ein­zu­se­hen. Irgend­ei­nen Grund gibt es immer.

Thie­ler schil­dert die Will­kür, die es gibt, mit­ten in Deutsch­land. Er pran­gert den juris­ti­schen Miss­stand an:

Es ist sehr schwie­rig, das anzu­fech­ten. Die Macht ist unglaub­lich. Ein Betreu­er kann sämt­li­che Ent­schei­dun­gen tref­fen. Er kann ent­schei­den, dass der Betreu­te nicht mehr tele­fo­nie­ren kann, nicht mehr Post ent­ge­gen neh­men darf, nicht mehr aus dem Haus gehen, dass er sei­ne Woh­nung ver­liert, er kann ihn in geschlos­se­ne Anstal­ten ein­wei­sen. Soge­nann­te Betreu­ung ist in Wahr­heit ein enor­mer Ein­griff in die Men­schen­rech­te. Der Betreu­te ver­liert eigent­lich sämt­li­che Rechte.

Prof. Vol­ker Thieler

Fazit

Eins steht fest: Dement ist Frau M. nicht. Sie hat­te allen­falls ein Delir, wel­ches im Rah­men von Ope­ra­tio­nen als Durch­gangs­syn­drom bezeich­net wird und meist nach eini­gen Mona­ten wie­der ver­schwin­det. Das hät­te der Arzt dif­fe­ren­ti­al­dia­gnos­tisch abgren­zen müs­sen. Zudem ist Frau M. Dia­be­ti­ke­rin, was das Risi­ko für ein Delir, beson­ders kurz nach einer OP erhöht. Ist der Arzt nun unfä­hig oder ein­fach nur kor­rupt? Bei­des wäre fatal für sei­ne Pati­en­ten. Eine Fehl­dia­gno­se bleibt es alle­mal. Und sie ist bis heu­te nicht revi­diert worden.

Ich blei­be auf jeden Fall an der Sache dran und wer­de bei­zei­ten berich­ten, wie es mit Frau M. weitergeht.

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Wenn ihr auch Erfah­run­gen mit Fehl­dia­gno­sen habt oder ähn­li­che Fäl­le wie den von Frau M. kennt, freue ich mich auf Eure Mit­tei­lun­gen. Ihr könnt dazu die Kom­men­tar­funk­ti­on nutzen.


Bei­trags­bild: Gus­tav Staedtler


Im Arti­kel “Ver­wirrt­heits­zu­stän­de im Alter” (Dt. Ärz­te­blatt 2012, 109(21)) wird das Delir gut erklärt. Obwohl vie­le Fach­aus­drü­cke drin vor­kom­men, ist der Arti­kel auch für Lai­en zu ver­ste­hen. Hier ein Aus­zug dar­aus, um das Delir von der Demenz zu unterscheiden:

"... Bei der Syndromdiagnostik ist die Demenz die wichtigste Differenzialdiagnose. Wichtige Kriterien, die für ein Delir und gegen eine Demenz sprechen, sind ein akuter Krankheitsbeginn, ein fluktuierender Verlauf mit einer Störung des Tag-Nacht-Rhythmus und eine Störung von Bewusstseinshelligkeit und Aufmerksamkeitsniveau. Vor allem bei Hochbetagten sind Mischbilder von Delir und Demenz viel häufiger als rein delirante Zustände (15). Oft sind Delir und Demenz im Querschnitt nicht sicher zu unterscheiden und können erst im Krankheitsverlauf voneinander differenziert werden." 

(Quelle: http://www.aerzteblatt.de/archiv/126278)

Eine aus­führ­li­che­re Dar­stel­lung zur Unter­schei­dung zwi­schen Delir und Demenz bie­tet der Auf­satz von Prof. Dr. med. Vol­ker Faust (http://www.psychosoziale-gesundheit.net/pdf/Int.1‑Akute_Verwirrtheitszustaende_Delir.pdf)

Differential-Diagnostik Delir-Demenz